Lungenembolie durch die Pille – Interview

Lungenembolie durch PIlle

Felicitas Rohrer

Felicitas Rohrer ist 2009 fast an einer Lungenembolie durch Pille gestorben. Nun verklagt sie als erste deutsche den Pharmakonzern Bayer. Wie da wohl ihre Chancen stehen? In unserem Interview berichtet sie von ihren Erfahrungen und ihren Vorhaben viele andere Frauen in Deutschland vor einem ähnlichen Schicksal zu bewahren.

Liebe Felicitas du wärst damals im Jahre 2009 fast an durch eine Lungenembolie durch die Pille gestorben. Kannst du kurz erzählen, was an diesem besonderen Tag in deinem Leben passiert ist?

Ich bin an diesem Samstag, den 11. Juli 2009, früh morgens aufgestanden, weil ich einen Termin in Freiburg hatte. Als ich mich anziehen wollte, habe ich bemerkt, dass mein linkes Bein angeschwollen war und ich kaum die Hose schließen konnte. Ich konnte mich aber wegen des Termins zu dem Zeitpunkt nicht gleich darum kümmern. Als ich dann in Freiburg angekommen war, bin ich drei Treppenstufen in der Uni hochgegangen. Oben angekommen, habe ich gemerkt, wie mir schwindlig wurde, was ich meinem mich begleitenden Freund gerade noch sagen konnte. Dann bin ich kollabiert und wurde ohnmächtig. Mein Freund hat es zwar geschafft, mich wieder zurückzuholen, aber es war klar, dass da gerade etwas sehr Schlimmes passiert, auch wenn ich es nicht einordnen konnte. Ich war kaltschweißig, hatte abartige Schmerzen im Brustkorb und habe gemerkt, dass ich immer weniger Luft bekomme. Mein Freund rief sofort Rettungssanitäter, die mich aber nicht stabilisieren konnten, ich bin immer wieder ohnmächtig geworden. Der hinzugerufene Notarzt reagierte sofort und ließ mich mit dem Rettungswagen in die Uniklinik Freiburg fahren. Ich weiß noch, wie ich gar nicht liegenbleiben wollte, weil der Druck auf den Brustkorb so groß war, dass ich ihn kaum aushalten konnte. Zudem habe ich gemerkt, dass ich immer mehr ersticke, ich habe Luft geholt, aber es kam keine Luft in der Lunge an. Im Schockraum der Uniklink Freiburg bin ich dann endgültig zusammengebrochen, es kam zu einem Herz- und Atemstillstand. Ich konnte nicht wiederbelebt werden und war klinisch tot. Zum Glück entschieden sich die Ärzte zu einer Operation. Ich wurde am offenen Herzen notoperiert, anschließend an eine Herz-Lungen-Maschine angeschlossen und ins Koma versetzt. Diagnose: beidseitige fulminante Lungenembolie.

Wie waren die ersten Tage nach den lebensrettenen OP? Wann konntest du wieder laufen und ein halbwegs normales Leben führen?

Ich lag anschließend knapp zwei Wochen auf der Intensivstation und das war wirklich ein Schweben zwischen Leben und Tod. Ich hatte unvorstellbare Schmerzen, obwohl ich starke Schmerzmittel (Morphium) intravenös bekommen hatte. Anschließend kam ich auf eine Normalstation, auf der ich sehr langsam wieder die normalen Bewegungen gelernt habe. Ich konnte mich aber nach wie vor nicht selber waschen und durfte wegen des bei der OP durchgeschnittenen Brustbeins die Arme nicht heben. Auch war ich anfangs zu schwach, um zu sitzen, geschweige denn zu laufen. Mein ganzer Körper war am Boden, selbst Essen zu kauen war zu anstrengend für mich. Und das mit 25 Jahren! Nach und nach habe ich dann die ersten zaghaften Schritte an der Hand meines Freundes versucht und war bei jedem Meter, den ich mehr geschafft hatte, überglücklich. So richtig alle Körperfunktionen wieder erlernt, habe ich aber erst in der sich an den Krankenhausaufenthalt anschließenden fünfwöchigen Reha. Ein komplett normales Leben führe ich bis heute nicht, da ich nie wieder ganz gesund werde. Aber es ist mir immerhin möglich, ein eigenständiges Leben zu führen und einem Beruf nachzugehen.

Du musst seit diesem Vorfall fast jeden Tag blutverdünnende Medikamente nehmen und kannst wahrscheinlich keine Kinder mehr bekommen. Was hast du in dem Moment gedacht als du erfahren hast, dass du niemals Mutter werden kannst bzw. eine Schwangerschaft und Geburt nie selbst erleben wirst?

Das muss man etwas relativieren. Solange ich die blutverdünnenden Medikamente nehme (übrigens jeden Tag), darf ich nicht schwanger werden, weil sie toxisch auf den Embryo wirken. Es besteht aber die Möglichkeit, diese Medikamente abzusetzen und andere zu nehmen, die für den Fötus nicht gefährlich sind, aber für mich eventuell schwerwiegende Nebenwirkungen hätten. Es wäre eine Risikoschwangerschaft, die von Beginn an von Hämatologen überwacht werden müsste. Aber es gibt hoffnungmachende Beispiele von Thrombose-Patientinnen, die ein gesundes Kind auf die Welt gebracht haben. Aber natürlich war der Moment, in dem mir klar wurde, dass eine sorglose Schwangerschaft nie möglich sein wird, nicht einfach. Und die ersten Jahre nach der Lungenembolie haben mir die Ärzte auch aufs Schärfste davon abgeraten, schwanger zu werden, da mein Körper eine Schwangerschaft nicht überstanden hätte. Es ist nach wie vor fraglich, ob ich jemals Kinder bekommen kann. Sollte sich herausstellen, dass dieser Fall eintritt, wird mir das den Boden unter den Füßen wegziehen, weil ich mir ein Leben ohne eigene Kinder nicht vorstellen kann.

Würdest du es in Betracht ziehen nach Amerika zu fliegen und eine Leihmutterschaft o.ä. anzustreben oder ein Kind zu adoptieren?

Natürlich besteht noch die Möglichkeit, ein Kind zu adoptieren, das würde ich auch sicher in Betracht ziehen, sollte es ausgeschlossen sein, dass ich eigene Kinder bekommen kann. Und ich bin mir auch sicher, dass ich dieses Kind lieben würde. Aber noch möchte ich mich von dem Gedanken, selbst schwanger zu werden, neun Monate ein Kind in mir wachsen zu spüren und es gesund auf die Welt zu bringen, nicht verabschieden.

Du hast vor deiner Lungenembolie durch die Pille ein Studium zur Tierärztin durchgeführt. Hast du das Studium abgeschlossen und arbeitest in deinem Traumberuf?

Ich habe das Tiermedizin-Studium abgeschlossen und bin seit April 2009 Tierärztin. Da ich im Juli 2009 die Lungenembolie erlitten hatte, ist es mir seitdem nicht mehr möglich, als Tierärztin zu arbeiten.

Nun hast du seit 2009 viel bewegt und unter anderem zusammen mit anderen Frauen die Selbsthilfegruppe Drospirenon Geschädigter (SDG) gegründet. Für wen ist diese Selbsthilfegruppe und was erwartet mich, wenn ich auf risiko-pille.de surfe?

Unsere Selbsthilfegruppe ist in erster Linie eine virtuelle Anlaufstelle für Frauen, die Fragen haben, was ihre Art der Verhütung angeht, die sich über das erhöhte Thrombose-Risiko der Pillen der 3. und 4. Generation informieren möchten und die ihre zum Teil gravierenden Nebenwirkungen dieser Pillen mit uns teilen möchten. Unsere Seite Risiko-Pille war die erste, die ausführlich und umfassend alle vorliegenden unabhängigen Studien gesammelt hat und über das Risiko aufklärt. Man kann sich auf unserer Homepage also sowohl über die aktuelle Studienlage informieren, als auch anhand der zahlreichen Presseberichte nachlesen, dass die Gefährlichkeit der Antibabypillen der 3. und 4. Generation ein großes Thema ist, und unsere Aktionen auf der Aktionärshauptversammlung von Bayer verfolgen sowie uns einen eigenen Erfahrungsbericht schicken, damit endlich mit dem Mythos Einzelfall aufgeräumt wird, denn als diesen bezeichnen uns die Pharmakonzerne gerne. In den USA hat Bayer aber schon an knapp 9000 Frauen Entschädigungszahlungen in Höhe von zwei Milliarden US-Dollar geleistet und in vielen europäischen Ländern sind Klagen gegen Bayer anhängig. Wir sind definitiv keine Einzelfälle!

Dank der Aufklärung der SDG ist nun vielen Frauen bekannt, dass die „neuen” Pillen der 3. und 4. Generation ein stark erhöhtes Thrombose Risiko haben. Nach einem Artikel der Zeit ist dieses Risiko besonders bedenklich, wenn man zusätzlich eine erbliche Veranlagung für Thrombose mitbringt. In Frankreich werden sogenannte Thrombose Tests vor der Pilleneinnahme durchgeführt. Wie siehst du das – brauchen wir einen solchen Test auch in Deutschland, um Frauen vor einem ähnlichen Schicksal zu bewahren?

Ich würde die Einführung solcher Tests begrüßen. Viele Frauen tragen, ohne es zu wissen, eine Blutgerinnungsstörung in sich, mit der sie die Pille eigentlich nicht verschrieben bekommen dürfen. Dennoch wird vor Verschreibung der Pille nicht auf Blutgerinnungsstörungen getestet. Es könnten viele Erkrankungsfälle vermieden werden, wenn dies der Fall wäre!

Im Dezember 2015 konnte man fast überall in der Presse lesen, dass du als eine der ersten Frauen in Deutschland die Pharmariesen Bayer auf Schadenersatz verklagst. Warum hat es so lange gedauert bis die Prozess anlief?

Ich habe Bayer bereits im April 2011 auf Schadenersatz und Schmerzensgeld verklagt. Seitdem läuft der Prozess. Allerdings kam es erst im Dezember 2015 zum ersten mündlichen Verhandlungstag. Dass dieser so lange hat auf sich warten lassen, hat viele juristische, prozessuale Gründe. Aber ich bin froh, dass man nun auch vor Gericht persönlich aufeinander getroffen ist.

Als wir deinen Artikel im Spiegel auf Facebook geteilt haben,
gab es sehr verschiedene Reaktionen auf deine Klage. Die einen sagen: „… das hätte sie wissen müssen, es stand doch im Beipackzettel drin, die möchte doch nur Geld machen“. Die anderen fühlen mit dir und drücken dir für die Klage die Daumen. Nach meinen Informationen ist es korrekt, dass auch schon 2009 in der Verpackungsbeilage drin stand, dass die Pille Thrombose auslösen kann. Warum möchtest du genau klagen, was wirfst du Bayer vor?

Jede Antibabypille kann eine Thrombose auslösen. So stand auch im Beipackzettel der von mir genommenen Pille (Yasminelle) unter gelegentlichen Nebenwirkungen „Thrombose und Lungenembolie“. Allerdings stand im Beipackzettel lediglich, dass sich die Gefahr erhöht, wenn man über 30 Jahre alt ist, Raucherin ist, Übergewicht hat oder vor der Einnahme eine Operation hatte. Nichts davon hat auf mich zugetroffen. Es stand im Beipackzettel also nichts darüber, dass diese Pille ein wesentlich höheres Thromboserisiko hat als Pillen einer anderen Generation. Hätte ich das gewusst, hätte ich mich für eine andere, risikoärmere Pille entschieden. Inzwischen musste Bayer den Beipackzettel ja sogar ändern und auf dieses erhöhte Risiko hinweisen!

Die Pille wird ja aktuell immer noch als Lifestyle Produkt beworben und wir kennen einige Frauen, die die Pille als junges Mädchen genommen haben, um einen größeren Busen zu bekommen, oder keine Akne mehr zu haben. Darf man deiner Ansicht nach so werben? Wie sollte die Pille deiner Ansicht nach beworben werden?

Diese Art der Werbung halte ich für fatal. Die Antibabypille ist ein verschreibungspflichtiges Medikament, das durch seine Hormone auf viele Funktionen des Körpers Einfluss hat. Die Pille ist kein Lifestyleprodukt, das man einfach mal so nehmen kann! Dass es FrauenärztInnen gibt, die die Pille verschreiben, weil sie ihren Patientinnen damit ein besseres Hautbild, schönere Haare oder einen größeren Busen versprechen, ist verantwortungslos. Es müsste viel deutlicher darauf aufmerksam gemacht werden, dass die Antibabypille auch bei gesunden jungen Frauen schwerwiegende Nebenwirkungen auslösen kann. Und vor allem muss klargemacht werden, dass die verschiedenen Pillen ein unterschiedliches Thromboserisiko haben. Jeder Frauenarzt / jede Frauenärztin sollte zu seiner Patientin sagen, dass die Pillen der 2. Generation im Vergleich zu anderen das geringste Thromboserisiko haben.

[A.d.R.: Hormone (auch die künstlichen Hormone aus den hormonellen Verhütungsmethoden) können über die Blutbahn an JEDE Körperstelle gelangen und darauf einen Einfluss haben.]

Trotz der ganzen Vorfälle wird die Pille bisher immer noch als einziges(!) Verhütungsmittel überhaupt für unter 21-jährige Mädchen zu 100% von den Krankenkassen bezuschusst. Wie siehst du diese Regelung, dient es wirklich dem Schutz vor ungeplanten Schwangeschaften oder ist es eher ein Gesetz, dass den Wettbewerb der Verhütungsmethoden Richtung Pharmakonzerne verzerrt?

Darüber kann ich mir so spontan kein Urteil erlauben. Aber sicher ist es ratsam, zur Diskussion zu stellen, warum in den gynäkologischen Praxen nicht-hormonelle Verhütungsmethoden nahezu gar nicht angesprochen werden, obwohl diese heutzutage durchaus sehr sicher sind. Dass der Markt der Antibabypillen hart umkämpft ist und jeder Pharmakonzern damit gut Geld verdienen möchte, ist sicher so. Deshalb versuchen sie ja „neue“ Pillen auf den Markt zu bringen und mit den Werbeversprechen (man nimmt ab, bekommt schönere Haut und Haare, Feel-Good-Effekt…) gezielt junge Frauen zu ködern. Da stecken mit Sicherheit wirtschaftliche Interessen dahinter. Ich selber verhüte seit meiner Lungenembolie nicht-hormonell und bin total glücklich und zufrieden damit.

Ich bin mir sicher, dass der Pharmaindustrie deine Aktivitäten mit der SDG absolut nicht gefallen werden, hast du Angst von Bayer überwacht zu werden und ein „falsches Wort“ zu sagen?

Diese Sorgen habe ich durchaus ab und zu. Dadurch, dass wir von der SDG seit 2010 jedes Jahr auf den Bayer-Aktionärshauptversammlungen auftreten, demonstrieren und den Vorstand und die Aktionäre mit den neuen Studien und schlimmen Erkrankungsfällen konfrontieren, kennt Bayer inzwischen sehr gut unsere Namen und verfolgt jeden Medienbericht über das Thema. Aber ich lasse mich nicht einschüchtern.

Kommen wir zur letzten Frage, wenn du jungen Mädchen vor ihrem ersten Gyn-Besuch etwas ins Ohr flüstern könntest, was würdest du Ihnen sagen?

Ich würde ihnen sagen, dass sie sich gut überlegen sollten, was für eine Art der Verhütung sie möchten. Nur weil vielleicht alle anderen Mädchen in ihrem Freundeskreis die Pille nehmen, muss das nicht heißen, dass sie sie auch nehmen müssen. Sie sollen gut nachfragen, nicht locker lassen und nach Alternativen fragen. Manche nicht-hormonelle Verhütungsmethoden haben sogar einen niedrigeren Pearl-Index (sind also sicherer) als die Pille! Und lasst euch auch nicht mundtot machen, denn es gibt leider auch FrauenärztInnen, die das Thema „Höheres Thromboserisiko der Pillen der 3. und 4. Generation“ als Panikmache und Hysterie abqualifizieren. Lasst euch davon nicht verunsichern! Wenn ihr euch schlecht beraten fühlt, holt euch noch eine andere Meinung ein! Und wenn ihr doch zum Entschluss kommt, die Antibabypille zu nehmen, dann informiert euch auf unserer Homepage über die verschiedenen Inhaltsstoffe und beharrt vor allem darauf, eine Pille der 2. Generation verschrieben zu bekommen! Und solltet ihr Symptome wie muskelkaterähnliche Schmerzen im Bein, Schwindel, Luftnot, Schmerzen im Brustkorb verspüren, geht sofort in ein Krankenhaus und lasst euch nicht abspeisen! Es geht uns von der SDG nicht darum, Panik zu schüren, aber es ist wichtig aufmerksam und kritisch zu sein.

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